Die Smart City hat ein Adressen-Problem!

Ein Feature von Michael Schulte

Bei Smart City denkt man an Flugtaxis, Paket-Drohnen und geniale Homeoffice-Lösungen. An IP-Adressen denkt kaum jemand. Dabei könnte genau daran alles scheitern!
Warum Firmen und Städte für eine smarte Zukunft dringend ihr IP-Adressen-Konzept umstellen müssen, und warum 4,3 Milliarden dabei keine große Zahl darstellt...

Smart Cities brauchen zur Vernetzung ein neues IP-Konzept. ©Pixabay.com - https://pixabay.com/photos/smart-city-communication-network-4168483/
Smart Cities brauchen zur Vernetzung ein neues IP-Konzept.

Montag: 7:38 Uhr - Ihr Smartphone klingelt… noch nicht. Denn es stimmt Ihren Schlafzyklus mit der Smart Watch ab und weckt Sie erst in drei Minuten, damit Sie besser aufwachen – und das ist okay. Denn der Verkehr heute erlaubt es - bei aktueller Ampelschaltung, Verkehrsdichte und Baustellennetz sind es exakt 21 Minuten bis zur Arbeit - Tendenz sinkend. Ihr Smartphone startet derweil die Kaffeemaschine, dimmt das Licht im Bad und spielt Ihre Morgenmusik. Ein autonom fahrender Shuttle-Service kommt in 45 Minuten und bringt Sie pünktlich zur Arbeit.
Wir kennen viele dieser Technologien bereits aus Smart-City-Konzepten.

Aber warum gibt es dann noch keine echten Smart Cities?

Wilhelm Boeddinghaus beschäftigt sich seit einem Vierteljahrhundert mit dem Thema Netzwerkkommunikation. Der Chief Technology Officer (CTO) des Berliner IT-Spezialisten system.de ist seit 25 Jahren Netzwerkexperte und Gastdozent beim Hasso-Plattner-Institut.

Die Frage „Wenn doch viele Technologien bereits entwickelt sind, warum gibt es dann heute noch keine einzige echte Smart City?“ bringt Boeddinghaus immer wieder zum Schmunzeln. Er erklärt es so: Smart Cities brauchen Sensorik. Es werden Gigabyte an Klima-, Verkehrs- oder Bewegungsdaten etc. erhoben. Damit können sich beispielsweise autonome Fahrzeuge synchronisieren, während optimale Routen für alle Verkehrsteilnehmer und dynamische Ampelschaltungen geplant werden – Verkehrsflüsse werden optimiert und Staus vermieden.

Dazu müssen diese Daten allerdings in Echtzeit an alle Bürger:innen einer Stadt oder Metropolregion kommuniziert werden. Und hier liegt die große Herausforderung:

Da nicht genug IP-Adressen zur Verfügung stehen, teilen sich aktuell Geräte eines Netzwerkes die gleiche öffentliche Adresse, um im Internet zu kommunizieren. ©Grafiken von Flaticon.com / Schaubild von Michael Schulte
Da nicht genug IP-Adressen zur Verfügung stehen, teilen sich aktuell Geräte eines Netzwerkes die gleiche öffentliche Adresse, um im Internet zu kommunizieren.

Jedes Gerät und jeder Sensor kommuniziert Daten ins Internet, erzählt Boeddinghaus weiter, und benötigt dafür eine eineindeutige öffentliche Adresse. Das Problem: Es gibt nicht genug Adressen.

Damit smarte Geräte miteinander kommunizieren können, müssen sie sich identifizieren – dies geschieht über eine IP-Adresse. IP steht für Internet-Protokoll, und der aktuelle IPv4-Standard arbeitet mit bis zu zwölfstelligen Nummern (z.B. 207.142.131.235) zur Identifikation - ganz ähnlich der Personalausweis-, oder Kreditkarten-Nummer. Will ein Gerät Daten senden oder empfangen, braucht es also eine IP-Adresse. Smarte Toaster, intelligente Kaffeemaschinen, steuerbare Lampen und Abermillionen weitere Sensoren einer Stadt - sie alle brauchen eine der ca. 4,3 Milliarden Adressen. Klingt viel – ist es aber bei Weitem nicht!

Denn bereits jetzt haben einzelne Systeme wie Autos zum Teil tausende von IP-Adressen! Es fehlen Adressen für alle Geräte und die letzten verfügbaren werden zu Wucherpreisen verkauft.

Die Lösung liegt auf der Hand, die Umsetzung jedoch nicht.

Fasst man das IP-Problem in wenigen Sätzen zusammen, kommt man schnell zu der Erkenntnis: „Wir brauchen längere IP-Adressen für mehr Geräte“, „Warum gab es nicht schon immer längere IP-Adressen?“ und „So schwer kann das jetzt ja wohl nicht sein“.

Damit aktuell überhaupt so viele Geräte ins Internet können, teilen sich die Geräte eines Netzwerkes für gewöhnlich eine Adresse (z.B. über eine FRITZ!Box). Der Einsatz eines solchen Schnittstellen-Gerätes schafft allerdings Engpässe und kostet Zeit.

Für Sensordaten einer Smart City wäre dieser Ansatz möglich, aber nicht empfehlenswert. Laut Boeddinghaus sind diese Schnittstellen für viele Anwendungen zu langsam und schaffen eine große Abhängigkeit: Autonom fahrende Autos zum Beispiel benötigten die Umgebungsdaten verlässlich in Echtzeit. Würden viele Verkehrsteilnehmer:innen ihre Daten nur über eine geteilte Plattform an andere Fahrzeuge senden, koste das wertvolle Zeit und skaliere nicht. Autonomes Fahren würde dadurch unsicher bis unmöglich.

Alle Geräte haben eine eigene öffentliche IPv6-Adresse und kommunizieren direkt ins Internet. ©Grafiken von Flaticon.com / Schaubild von Michael Schulte
Alle Geräte haben eine eigene öffentliche IPv6-Adresse und kommunizieren direkt ins Internet.

Die Lösung ist die direkte Kommunikation über IPv6.

Boeddinghaus konzentriert sich seit vielen Jahren auf diese Thematik, ist Mitglied im deutschen IPv6-Rat und unterstützt auch DAX-Konzerne bei der Einführung von IPv6. Dabei handelt es sich grundlegend um nichts anderes als längere IP-Adressen. Statt maximal zwölfstelligen Nummern, sind die Adressen hier bis zu 39 Stellen lang. Damit sind wesentlich mehr Adresskombinationen möglich. Um genau zu sein, sind so 600 Billiarden Adressen pro Quadratmillimeter Erdoberfläche verfügbar.

Die Herausforderung ist aber, dass aktuell alle Geräte mit IPv4-Adressen kommunizieren und diese auch erwarten. Diese Kommunikation muss nun manuell und mit akribischer Sorgfalt umgestellt werden. Das ist technisch betrachtet aufwändig, weil nicht nur das Netzwerk, sondern auch alle IT-Systeme (Server, Clients, Sensoren etc.) umgestellt werden müssen. Besonders große Konzerne stellt dies vor eine immense Herausforderung.

Ist IPv6 flächendeckend und über alle Technologie-Ebenen hinweg eingeführt, hat jeder Sensor, jedes Gerät und jede:r Teilnehmer:in einer Smart City eine eigene öffentliche IP-Adresse. Die Kommunikation erfolgt direkt, ohne Bottlenecks und Latenzzeiten. So können smarte Cities mit 340 Sextillionen verfügbaren IP-Adressen wirklich smart werden.

IPv6 bietet genug Möglichkeiten, um tatsächlich jedem Gerät eine eigene IP-Adresse zuzuteilen. ©Schaubild von Michael Schulte
IPv6 bietet genug Möglichkeiten, um tatsächlich jedem Gerät eine eigene IP-Adresse zuzuteilen.