Ein ganzer Stadtteil möchte klimafreundlich werden - geht das?

Ein Feature von Sahra Vittinghoff

Hamburg plant bis 2050 klimaneutral zu werden. Doch wie ist dieses Ziel erreichbar? Das Forschungsprojekt „Klimafreundliches Lokstedt“ hat in einem Hamburger Stadtteil die verschiedenen Blickwinkel aus Forschung, Verwaltung und Bürgerengagement zusammengeführt, um eine Antwort zu finden.

Ein Wasserturm in Hamburg-Lokstedt ©Universität Hamburg
Wasserturm Hamburg-Lokstedt

Beim Thema Klimaschutz werden die meisten an schmelzende Polkappen, Artensterben, Luftverschmutzung, CO2-Emissionen und Ähnliches denken. Nachhaltige Maßnahmen sind – spätestens seit der sozialen Bewegung „Fridays for Future“ – wichtiger Bestandteil des gesellschaftlichen und politischen Diskurses. Eine der großen Fragen für die Zukunft ist, wie sich die beiden Ebenen miteinander verknüpfen lassen. Das will das Forschungsprojekt „Klimafreundliches Lokstedt“ beantworten.

Ziel des Projekts sind nachhaltige Maßnahmen, die von den Lokstedter:innen angenommen und umgesetzt werden. Zunächst haben die Mitarbeiter:innen seit 2016 die Alltagsgewohnheiten und -praktiken der Lokstedter Bevölkerung analysiert. Anhand von Haushaltsinterviews und Online-Befragungen beschäftigten sie sich mit den drei zentralen Handlungsfeldern: Haushaltsenergie, Mobilität und Abfallwirtschaft. Zusätzlich organisierten sie Diskussionsrunden sowie öffentliche Veranstaltungen zur Förderung des ökologischen Bewusstseins der Bürger:innen. Dort war es den Bewohner:innen möglich, kleinteilig entwickelte Maßnahmen zu diskutieren, Vor- und Nachteile zu nennen und somit an der Entwicklung mitzuwirken. Denn laut einer der Projektmitarbeiter:innen aus der Wissenschaft ist die persönliche Betroffenheit ein wichtiger Punkt.

„Was hat der schwimmende Eisbär, der keine Scholle mehr findet, mit dem Stück Fleisch auf meinem Teller und mir selbst zu tun?”, erklärt sie das fehlende Problembewusstsein. „Diese Verbindung wieder hinzukriegen ist wichtig für die Bewusstseinsbildung der Bewohner:innen.”

Seit 2020 arbeitet das Forschungsteam insbesondere an Maßnahmen für die Verkehrswende und Stadtplanung. Wie in den ersten Jahren des Projekts sollen die Perspektiven breit gestreut bleiben. Der Verkehrsforscher des Projekts erklärt dies so: 

„Wir wollen nicht direkt vorgeben, welcher Weg aus wissenschaftlicher Sicht oder Verwaltungssicht einzuschlagen ist. Die Bevölkerung soll Raum haben, selber die Schwerpunkte zu setzen, zu erforschen und eben auch umzusetzen.”

Darüber hinaus ist das Bürgerhaus Lokstedt seit 2020 Projektpartner. Dies ermöglicht bessere Vertrauensstrukturen und eine höhere Reichweite des Projekts.

 

Schwerpunkt Verkehrswende

Laut dem Umweltbundesamt zählen die Emissionen aus der Wärmeenergiegewinnung, aus dem Verkehr und aus der Industrie zu den größten CO2-Verursachern in Deutschland. Nachdem die ersten Ergebnisse des Forschungsprojekts ausgewertet waren, wurde innerhalb der Bevölkerung ein großes Interesse am Thema Verkehrswende erkennbar. Aus diesem Grund fokussieren sich die Mitarbeiter:innen jetzt auf die Neugestaltung des öffentlichen Raums und auf alternative Fortbewegungsmittel zum Auto. 

Dafür sind beispielsweise autofreie Monate geplant. Das heißt: eine Gruppe von Teilnehmern:innen erhält ein Mobilitäts-Budget für nachhaltige Verkehrsmittel und soll im Gegenzug für einen bestimmten Zeitraum auf ihr Auto verzichten.

Als kleiner Bestandteil wird das über Crowdfunding finanzierte Lastenrad der lokalen Initiative “Zukunftswerkstatt Lokstedt”  in der Ausleihe vom Projekt mitbetreut und begleitend beforscht. Dieses soll bald durch zusätzliche Lastenräder erweitert werden.

Durch das temporäre Umgestalten des Stadtbildes sollen verbesserte Rahmenbedingungen für mehr Grünflächen, Fahrradwege und Fußgängerzonen entstehen. So werden positive Auswirkungen für Bürger:innen direkt sichtbar gemacht.

Dies klingt erstmal gut. Doch mehr Grünflächen, Fahrradwege und Fußgängerzonen bedeuten auch weniger Parkplätze und höhere Parkgebühren. Damit ist sicher nicht jeder einverstanden. Deshalb ist die Kommunikation mit den Bewohner:innen essentiell, um eine Balance zu schaffen. 

 

Wieso Lokstedt?

Im Vergleich zu anderen Stadtvierteln wie Eimsbüttel Kern oder Eppendorf ist Lokstedt nicht nur zentral, sondern verfügt auch über mehr freie Flächen. Daher verpflichtet der Senat den Stadtteil in höherem Maße bezahlbare Wohnungen zu bauen. Mit dem Entstehen neuer Immobilien muss demnach auch die Infrastruktur wachsen. In dem Fall ist laut Projektteam eine Einstiegsmöglichkeit für die Bürgermitbestimmung gegeben. Die Einwohnerzahl von 30.000 ist zudem eine gut übertragbare Größe im deutschlandweiten Kontext. Hinzu kommt der multikulturelle Hintergrund der Bevölkerung, den ein Projektmitarbeiter aus der Verwaltung besonders hervorhebt. 

„Ich glaube Lokstedt ist ein relativ diverser Stadtteil. Zum einen ist es bürgerlich und zum anderen einigermaßen urban,” beschreibt er die gesellschaftliche Zusammensetzung, „letztendlich ist dort auch nochmal ein ganz diverses Klientel.”
 

Es braucht den politischen Willen“

Beim Thema Klimaschutz handelt es sich um einen jahrzehntelang anhaltenden Prozess. Eine der Projektmitarbeiter:innen betont daher, dass politisch viel passieren muss, um langfristige Strukturen zu schaffen. 

„Es braucht den politischen Willen und eine unterstützende Bevölkerung,” äußert sie sich kritisch, „Politiker:innen müssen das Gefühl haben wiederwählbar zu sein, wenn sie gravierende Veränderungen anstoßen.”

Denn solange Nachhaltigkeit nicht als Priorität gilt, werden Bemühungen für klimafreundliche Ideen und Maßnahmen nicht viel ausrichten können.

Dennoch zeigen sich die Mitarbeiter:innen  des Forschungsprojekts optimistisch. Im Vergleich zu den Anfangsjahren ihres Projekts merken sie nämlich ein gesteigertes Interesse vonseiten der Bevölkerung.