Smart-City-Projekte in Deutschland – längst keine Utopie mehr

Ein Bericht von Julius Schwarze

Bei Smart Cities denken die meisten Menschen wohl an Mega-Städte aus Film-Fantasien mit fliegenden Autos, Gehwegen, die beim Laufen Strom produzieren, oder an andere utopische Welten. In der Realität existieren aber bereits einige Projekte, die eben jene Visionen vorantreiben sollen. Zukunft, irgendwo und mitten in Deutschland.

©Dana Andreea
Die Hansestadt Lübeck möchte durch eine Digitale Strategie zur Smart City werden.

Laut dem Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat (BMI) beschreibt der Anglizismus Smart City die „Entwicklung und Nutzung digitaler Technologien in fast allen Bereichen auf kommunaler Ebene“. Anhand dieser Definition wird deutlich: Smart City findet nicht nur im urbanen Raum statt. Smart City ist nicht gleich Großstadt.

2016 verfasste das BMI die sogenannte Smart City Charta. Ideen, welche beispielsweise auf einen nachhaltigeren, zugänglicheren und preisgünstigeren Stadtverkehr abzielen, sollten so inspirierend wirken, dass Smart-City-Konzepte in Deutschland ausgearbeitet werden. Die damit einhergehenden Förderungen von über 350 Millionen Euro wurden in den folgenden Jahren 32 von 86 eingereichten Modellprojekten zugesagt. Unter den Bewerbern befanden sich auch zahlreiche Kleinstädte, Kreise und zum Teil sogar Gemeinden.

Der Bund schuf damit die konzeptionelle sowie finanzielle Basis für die Entwicklung künftiger Smart Cities. Vorgesehen ist unter anderem eine nachhaltige Stadtentwicklung, die eine digitale Spaltung verhindern solle – 2020 wurde das Programm durch den Beschluss des Konjunktur- und Zukunftspakets sogar um weitere 500 Millionen Euro aufgestockt. Fünf Jahre nach der Veröffentlichung des Konzeptpapiers, welches auf Grundlage eines Beschlusses des Staatssekretärsausschusses für nachhaltige Entwicklung ausgearbeitet wurde, wird es Zeit, ein erstes Zwischenfazit zu ziehen.

 

Deutsche Smart Cities wachsen nicht nur im urbanen Bereich heran

Mit der Stadt Lübeck assoziiert man womöglich vorrangig Niederegger Marzipan, die Hanse und vielleicht auch den dortigen Weihnachtsmarkt. Dass sich Lübeck aber in Zukunft vor allem als Smart City überregionaler Bekanntheit erfreuen darf, ist unter anderem das Ziel des Vereins Energiecluster Digitales Lübeck e. V. sowie etlicher weiterer engagierter Personen. Diese organisieren sich in diversen Koalitionen (unter anderem Beirat Lübeck Digital & digitales Beteiligungsportal LÜBECKüberMORGEN). Ebenso wie die institutionalisierten Akteur:innen – zum Beispiel die Stabsstelle Digitalisierung, Organisation und Strategie – setzen sie sich für eine ressourceneffiziente sowie inklusive Stadtentwicklung und Verwaltungsmodernisierung ein.

Fährt man von Lübeck aus etwas mehr als eine Stunde Richtung Südosten, erreicht man die gerade einmal 12.500 Einwohner:innen zählende Stadt Hagenow. Inmitten der ruralen, mecklenburgischen Gegend ist hier eine Smart City in Planung – das zahlenmäßig kleinste aller 32 geförderten Modellprojekte mit dem Namen HageNOW!. Der überschaubare Rahmen ermöglicht vergleichsweise simple Zielvorstellungen und dementsprechend praktikable Maßnahmen, von denen 15 bereits seit Oktober 2019 in einer digitalen Agenda niedergeschrieben sind. Ziel des Fünf-Jahres-Projekts sind nachhaltige Strukturen, die neue digitale Anwendungen in Hagenow ermöglichen sollen.

Das BMI hat aufgrund der frühen Projektphase noch keinen allumfassenden Fortschrittsbericht veröffentlicht. Die vorgefassten Ideen aus Zeiten der Bewerbungen sind aber für alle Interessierten zugänglich. Doch auch ohne große öffentliche Aufmerksamkeit werden die Projekte im Hintergrund energisch weitergeführt. Dass die Smart Cities dabei auch untereinander vernetzt bleiben und sich so auch gegenseitig fördern, wird durch eine zentrale, intermediäre Beratungsgesellschaft sichergestellt. So soll sich eine Art Smart City-Familie formen.

 

Diversität und Kreativität kennzeichnen die Smart City Projekte

Dass es keine maßgeschneiderte Definition von Maßnahmen hin zu einer Smart City gibt, hat seine Gründe. Schlagworte wie Digitalisierung, Effizienz und Technik tauchen immer wieder in diesem Zusammenhang auf. Allerdings unterscheidet sich oftmals, was sich die Kreativköpfe hinter den verschiedenen Projekten dazu vorstellen. Dies ist in vielen Fällen von der Größe des Projektes abhängig. Auch sind konzeptionelle Differenzen durch unterschiedliche Baustellen und Bedürfnisse in den jeweiligen Kommunen begründet. So plant man in Lübeck unter anderem eine umfassende Smart-City-Plattform zur Datenvernetzung und möchte zukünftige Verkehrsprojekte – dem Smart City Gedanken entsprechend – gemeinsam koordinieren. In Hagenow verfolgt man bodenständigere Maßnahmen und beabsichtigt die aus Baden-Württemberg stammende Praxis der Digitallotsen zu adaptieren, welche „als städtische Beauftragte für das Thema Digitalisierung“ sensibilisieren, motivieren und Prozesse optimieren sollen.

Angelehnt an die unternehmerischen Führungspositionen und deren Bezeichnung (CEO, CFO oder CTO) wurde in diversen Smart Cities als frühe Maßnahme ein:e Chief Digital Officer (CDO), also eine verantwortliche Person für den digitalen Bereich, installiert. Der Lübecker CDO hat beispielsweise die Entwicklung, Fortschreibung und Implementierung der Digitalisierungsstrategie zur Aufgabe. Standortunabhängige Herausforderungen ergeben sich – wenn nicht coronabedingt – oft durch (datenschutz-)rechtliche Beschränkungen.

Dass die Partizipation kommunalpolitische Kreise und beauftragte IT-Unternehmen übersteigt, wird in der Regel über Gremien aus verschiedenen Statusgruppen sichergestellt – so auch in den Beispielen Lübeck und Hagenow. Dabei sind die adressierten Stakeholder:innen aber durchaus verschieden. In Lübeck sind es Akteur:innen aus Wissenschaft, Wirtschaft, Kultur und Verwaltung, wohingegen in Hagenow die städtische Bibliothek, Schule und VHS vertreten sind.

Smart Cities sind keine Utopie. Sie entstehen beinahe klammheimlich überall in Deutschland. Einer einheitlichen Konzeption folgen sie meist nicht, doch zeigen die Beispiele Lübeck und Hagenow, dass sie auch außerhalb von Metropolen möglich und realistisch sind – womöglich sogar leichter umzusetzen.