„Smart, das bedeutet ja schon so etwas wie schlau“ - Deshalb ist ein Ökodorf auch eine Smart City

Ein Interview von Ricarda Goetsch

Alle Macht den Städten - muss man das eigentlich wortwörtlich nehmen? Oder eröffnet die Digitalisierung nicht auch dem Dorfleben wieder eine Perspektive?  Ob ein Ökodorf im Sachsen-Anhaltischen Nirgendwo auch eine Smart City sein kann und weswegen man in Sieben Linden keine Avocados in der Speisekammer findet, das alles beantwortet Lisa Schubert.

Gemüsefelder mit Blick auf das Ökodorf ©Tatjana Schubert
Gemüsefelder mit Blick auf das Ökodorf

Lisa Schubert ist seit Oktober 2019 Studentin an der Leuphana Universität Lüneburg und studiert Umweltwissenschaften. Sie selbst ist in Sieben Linden, einem Ökodorf, das im Norden von Sachsen-Anhalt liegt, geboren und aufgewachsen.

Sieben Linden ist eine soziale und ökologische Siedlung, in der zukünftig mal bis zu 300 Menschen leben können. Das Ökodorf hat das Ziel, gemeinschaftlich und ganzheitlich nachhaltige Lebensstile zu verwirklichen, die einen geringeren ökologischen Fußabdruck mit hoher Lebensqualität verbinden. Zu dem Dorf gehören 115 Hektar Land, die verpachtet oder von dem Ökodorf selbst nachhaltig bewirtschaftet werden.

Seit etwas über einem Jahr wohnt Lisa nun in Lüneburg und kann so sehr gut die unterschiedlichen Lebenseinstellungen vom Ökodorf zur Stadt beschreiben. Im Folgendem hat sie einige Fragen zu dem Thema, ob ein Ökodorf auch eine Smart City sein kann und wie es ist bzw. was für vor und Nachteile es mit sich bringt in solch einem Ökodorf aufzuwachsen, beantwortet.

Gibt es ein Avocado-Verbot in Sieben Linden?

Lisa Schubert: Avocados kann man ohne Bedenken in Sieben Linden essen. Auch Bananen und Orangen oder generell alle tropischen Früchte darf man in Sieben Linden essen, kann sie aber nicht einfach aus der Speisekammer holen. Den Bewohner:innen von dem Ökodorf geht es darum, unnötige CO2-Emissionen zu vermeiden und aus diesem Grund, kann man bei uns vorwiegend saisonale und regionale Produkte kaufen. Aber durch unser selbst angebautes Obst und Gemüse fällt es mir leicht auf exotische Früchte zu verzichten.

Und wie sieht dann so eine Speisekammer bei euch aus? Und was kann man sich darunter vorstellen?

Lisa Schubert: Wir haben einen Bioladen und eine Speisekammer. Der Bioladen ist für alle Gäste, dort könnte man auch exotische Früchte kaufen, aber Fleisch nur auf Vorbestellung. Die Speisekammer ist hingegen nur für Bewohner:innen von Sieben Linden, dort kann ich mir immer, wenn ich etwas brauche, etwas abfüllen. Alles natürlich verpackungsfrei. Für die Speisekammer gibt es zum Glück auch keine Öffnungszeiten, wie in einem Supermarkt in der Stadt. Also ich kann mir meine Lebensmittel immer holen, wenn ich Lust habe und etwas brauche.

Speisekammer ©Tatjana Schubert
Speisekammer

Siehst du in dieser bewussten Ernährung von den Bewohner:innen von Sieben Linden schon Aspekte, die für dich eine Smart City ausmachen?

Lisa Schubert: Auf jeden Fall. Klar, wie ich eben schon gesagt habe, ist es natürlich in Sieben Linden nicht verboten exotische Früchte oder Fleisch zu essen. Aber der Grundgedanke unseres Projektes ist es eben einen Lebensstil zu entwickeln, der bewusst darüber reflektiert, was wir mit unserem täglichen Konsum in der Welt bewirken. Bei dem Verzehr von tierischen Produkten steht aber leider oft der Profit und nicht die artgerechte Haltung im Vordergrund. Auch die ganzen CO2-Emissionen, die der Fleischkonsum mit sich bringt, ist ein entscheidender Punkt, wegen dem sich Sieben Linden dazu entschieden hat, so etwas nicht zu unterstützen.

Ich würde auf jeden Fall sagen, dass die Förderung von reflektiertem und bewusstem Konsum ein entscheidender Faktor ist, der eine Smart City ausmacht. Neben dem Vermeiden von Verpackungsmaterial, Verzicht auf Fleisch und größtenteils auch auf exotische Früchte, versuchen wir uns hier größtenteils durch selbst angebautes Obst und Gemüse zu versorgen. Im Gemüsebereich versorgen wir uns über das ganze Jahr gesehen schon über 75 Prozent selbst. Dazu haben wir eine Vielzahl an Gemüsebeeten, die von den Dorfbewohner:innen bewirtschaftete werden.

Gemüsefelder ©Tatjana Schubert
Gemüsefelder

Ich denke dabei eher an eine clevere Art zu leben

Was verbindest du mit einer Smart City bzw. was macht sie darüber hinaus noch für dich aus?

Lisa Schubert: Smart, das bedeutet ja schon so etwas wie schlau. Einige Leute denken da bestimmt an Technisierung, aber ich denke dabei eher an eine clevere Art zu leben. Also, dass man sich darüber Gedanken macht, wie man lebt, wie man sich organisiert und was man für einen Einfluss durch sein Handeln auf Andere hat. Da gibt es bestimmt schon jede Menge Konzepte. Aber ich denke auch, dass es da nicht das eine wahre, perfekte Konzept gibt. Jeder Mensch hat ja eigene, ganz individuelle Bedürfnisse und Wünsche.  Also ich finde zum Beispiel ein Leben auf dem Land total schön und deswegen wäre ein Leben in der Stadt für mich jetzt nicht unbedingt eine Traumvorstellung. Deswegen glaube ich schon, dass es wichtig ist, dass es viele verschiedene Konzepte von solchen Smart Cities gibt, damit für jeden etwas dabei ist.

Ist das Ökodorf Sieben Linden für dich eine Smart City?

Lisa Schubert: Es geht auf jeden Fall in die Richtung bzw. es hat auf jeden Fall den Anspruch. Aber Smart City geht dabei vielleicht etwas zu weit, Sieben Linden ist eher ein Smart Dorf. Es ist auch definitiv nur darauf ausgelegt ein Dorf zu sein und nur bis zu einer bestimmten Größe zu wachsen. Aber in allen Bereichen, die es gibt, wird schon überlegt wie wir unser Ziel, möglichst nachhaltig zu leben, umsetzen können. Das ist für mich auf jeden Fall ein Aspekt, den eine Smart City haben sollte.

Wie organisiert sich das Dorf?

Um das umzusetzen wird regelmäßig bei Dorfsitzungen darüber diskutiert, wie wir das am besten machen, was wir vielleicht schon für Konzepte haben und wie wir dazu die Entscheidungen treffen. Da kommen dann zum Beispiel Fragen auf, wie das Dorf in Zukunft aussehen könnte, wer hier leben soll oder was für Häuser gebaut werden sollen. Über all das werden sich viele Gedanken gemacht. Ich glaube, unser Konzept ist ziemlich gut, auch wenn es in der Ausführung nicht immer zu 100 Prozent funktioniert. Aber in dem Sinne ist es dann schon smart.

Hier kennt jeder jeden

Was könnte man von den Ansätzen, die in Sieben Linden umgesetzt werden, auch in Lüneburg anwenden, um Lüneburg smarter zu machen?

Lisa Schubert: Da kann man bestimmt einiges übertragen, aber ich glaube das ganze Konzept einfach zu vergrößern wäre schwierig. Also wir haben hier in Sieben Linden ja eine Haushaltskasse, Gemeinschaftsräume, und eine Gemeinschaftsverpflegung. Der Gemeinschaftsgedanke spielt hier eine total große Rolle, da jeder jeden kennt und ich glaube, dass es nicht so leicht wäre, so etwas einfach auf eine größere Stadt zu beziehen.
Aber die Aspekte des reflektierten Konsums können natürlich von jedem Menschen ganz einfach auch auf das eigene Leben übertragen werden, unabhängig vom Wohnort. Es kann sich jeder selbst dafür entscheiden, keine tierischen Produkte mehr zu konsumieren und sich nur von regionalem und saisonalem Obst und Gemüse zu ernähren. Außerdem haben wir hier fast ausschließlich Strohhäuser mit Solarzellen auf den Dächern, das wäre ja auch etwas, was man ganz leicht auf jede Stadt übertragen kann.

Ich habe noch keinen schöneren Ort gesehen

Würdest du nach dem Studium wieder nach Sieben Linden oder allgemein in ein Ökodorf ziehen?

Lisa Schubert: Ich glaube, das hängt eher daran, ob es klappt. Es ist hier eine sehr strukturschwache Gegend und deshalb ist es hier nicht leicht Arbeit zu finden. Es gibt zwar Arbeitsplätze im Dorf z.B. im Garten, Seminarbetrieb oder bei der Gästebetreuung, aber diese Arbeitsplätze sind leider begrenzt. Also wenn man eine spezielle Ausbildung hat, müsste man unter Umständen weit fahren und dann muss man eben gucken, wie sich das vereinbaren lässt. Aber grundsätzlich kann ich sagen, dass ich noch keinen schöneren Ort als Sieben Linden gesehen habe, an dem ich lieber wohnen wollen würde.