Über unbewusste Vorurteile und die Hoffnung auf Veränderung

Ein Bericht von Ulla Mußler

Für ihre Forschungen über Geschlechterrollen holen sie die Bravo-Girl raus, untersuchen das Frauenbild auf Instagram und werfen einen Blick in die Automobilbranche. Interessiert und erwartungsvoll wagt eine Reihe von Erstsemesterstudierenden die Reise ins Unbewusste.

Die Diskussion im Plenum. ©Ulla Mußler
Die Diskussion im Plenum.

Mittwochmittag: das Seminarplenum „Studierende. Forschung. Zukunft – Teilhabechancen von Frauen“ hat gerade begonnen. Mit dabei: Seminarleiterin Professorin Anke Karber und die Studierenden sowie die berichtenden Wissenschaftlerinnen Julia Ganterer, Professorin Boukje Cnossen und Professorin Luise Görges. Zusammen diskutieren sie über eigene Forschungen und Probleme, die uns alle betreffen. 

 

Partizipation und Kritik

„In meinen Seminaren verwende ich gendersensible Sprache und versuche, Studierenden einen offenen Raum zu geben. Meiner Lehre begegne ich mit feministischer, partizipativer Haltung“, berichtet Ganterer über ihre persönliche Einstellung zu Lehre und Lernen im Hochschulkontext. Die Erziehungswissenschaftlerin und Sozialpädagogin, die sich auf Geschlechterforschung fokussiert, beschäftigt sich unter anderem mit Schönheit und Machtdiskursen, dem Body-Image auf Instagram und der Geschlechtervielfalt. 

Was ihre Arbeit von anderen unterscheidet? Ganterer legt Wert darauf, dass Studierende Inhalte mitbestimmen und gemeinsam über Möglichkeiten und Probleme diskutieren. Studierende sollen lernen, sich auch kritisch mit Inhalten auseinanderzusetzen.

„Was macht Coworking als neue Form des Arbeitens mit der Gesellschaft?“ Dieser Frage widmet sich Cnossen in ihrer Forschung. Die niederländische Professorin für Betriebswirtschaftslehre berichtet über den Trend, nicht von einem festen Ort, sondern von überall aus zu arbeiten. Sogenannte „Coworking Spaces“ bieten der steigenden Zahl von Freiberufler:innen und Wissenschaftler:innen einen Arbeitsplatz. Cnossen untersucht, wie diese neuen Arbeitsplätze organisiert und inwiefern Diversität darin wiederzufinden ist. Denn wie sie herausgefunden hat, ist Diversitätsmanagement oft eine organisatorische Angelegenheit, die intern teilweise belächelt oder sogar nur imitiert wird. Dem möchte sie auf die Spur gehen. 

 

„Nicht nur auf Frauen wirken Geschlechternormen“

Luise Görges, Juniorprofessorin für Volkswirtschaftslehre, untersucht Geschlechterunterschiede in ökonomischem Verhalten und die Rolle von Geschlechternormen. Denn Männer und Frauen unterscheiden sich hinsichtlich vieler ökonomischer Kennzahlen. Frauen erzielen durchschnittlich geringere Löhne, arbeiten seltener in Führungspositionen und sind häufiger von Armut bedroht. Görges zeigt, dass die Unterschiede im Verhalten nicht immer so hoch sind. Solange Frauen jung und öfter single seien, fielen die Unterschiede nicht so stark aus, hat sie beobachtet. Das verändert sich aber schlagartig mit der Geburt von Kindern, denn Frauen machen sich öfter für die Sorgearbeit verantwortlich. Ihr ist trotzdem wichtig zu betonen, dass Geschlechternormen nicht nur auf Frauen wirken. Männer investieren zum Beispiel größere Anstrengung in eine bezahlte Aufgabe, wenn die Gefahr relativ hoch ist, dass ihre Partnerin sonst mehr verdienen könnte. 

 

„Wie kann der Thomas-Kreislauf beendet werden?“

Eine Gruppe von Studentinnen umtreibt eine Frage besonders. In ihrer Forschung untersuchen sie die Aufstiegschancen von Frauen in der Automobilbranche und erfragen, warum dort so viele Männer mit dem Namen „Thomas“ vertreten sind. Offenbar scheinen sich in der Hierarchie weit oben stehende Männer, in jüngeren Kollegen wiederzuentdecken - und befördern ihren Aufstieg. So folgt ein Thomas auf den nächsten. Was muss sich verändern, damit der Thomas-Kreislauf beendet werden kann? Görges hat darauf viele Antworten. Beispielsweise scheinen die Hürden für Frauen in Berufen, die von Männern dominiert sind, größer. So sei unter anderem messbar, dass Frauen bei steigender Männer-Anzahl in Studiengängen mit schlechteren Noten abschneiden, länger brauchen und sogar öfter abbrechen. Aus eigenen Interviews weiß Görges, dass Frauen eher auf gegenderte Stellenanzeigen reagierten, bei denen die Mindestanforderungen niedriger sind. Denn Frauen zweifeln nach ihr eher an ihren Fähigkeiten und der Qualität ihrer Entscheidungen als Männer. Hier betont Görges, dass sie ihre eigenen Erfahrungen und keine empirischen Belege schildert. 

 

Verhaltensweisen sind tief in uns verankert

Man könne aber noch viel weiter zurückschauen. Schon im Kindesalter werden Aufgaben von Eltern unbewusst ungleich an Söhne und Töchter verteilt. In einer französischen Studie wurde herausgefunden: Mädchen machen pro Tag 40 Minuten Hausarbeit mehr als Jungen.

Die Verhaltensweisen scheinen tief und unbewusst in uns zu liegen. Doch gibt es Hoffnung auf Veränderung? Görges rät jungen Frauen, traditionelle Arbeitsteilung zu hinterfragen und zu überlegen, was wir Kindern vorleben. Denn unser Verhalten wird sie prägen, so viel ist sicher. An vielen Ecken fehlt dafür aber noch der Wille und Einsatz. Die Gesellschaft macht es Frauen heute beispielsweise immer noch leichter, lange in Elternzeit zu gehen. Männer werden dafür hingegen öfter schief angeschaut. 

Es liegt also an uns allen. Seminarleiterin Anke Karber hält fest, dass für ein soziales Miteinander unbewusste Vorurteile berücksichtigt, blinde Flecken aufgedeckt und Reflexionen über eigenes Verhalten aufgedeckt werden muss. Von allen für alle.