Viel Talk, keine Diskussion und fehlende Gegenargumente – über eine freundschaftliche Wohlfühloase

Ein Kommentar von Julius Schwarze

Mit Bundesumweltministerin Svenja Schulze und dem Wuppertaler Oberbürgermeister Uwe Schneidewind sind zwei prominente Gesichter aus der Politik geladen. Im gemütlichen Schreibtischstuhl vor der Webcam sitzend erhalten die Politiker:innen kaum Gegenwind. Wer zwei antithetische Positionen erwartet, wird enttäuscht.

Svenja Schulze und Uwe Schneidewind sind digital ins Leuphana Studio zugeschaltet. ©Leuphana/Marvin Sokolis
Svenja Schulze und Uwe Schneidewind sind digital ins Leuphana Studio zugeschaltet.

„Dazu kann Svenja gleich bestimmt noch was sagen“, verweist Grünen-Politiker Uwe Schneidewind – angesprochen auf die Herausforderungen der Sozialen Frage – lieber auf seine sozialdemokratische Gesprächspartnerin Svenja Schulze. Weswegen er die Bundesumweltministerin beim Vornamen nennt? Die beiden sind auch außerhalb der Leuphana Konferenzwoche befreundet, was schon zu Beginn klargestellt wird. Und genau in diesem Verhältnis zwischen Schulze und Schneidewind liegen die verpassten Möglichkeiten dieser Veranstaltung.

Zwischen Schulze und Schneidewind herrscht freundschaftliche Harmonie, man pflichtet sich bei und lobt sich gegenseitig. Ihr maximales Maß an Konsens wird spätestens dann deutlich, als sie identische Antworten auf die Frage nach der erträumten Zukunftsstadt 2030 liefern: Grünflächen, Solaranlagen auf den Dächern und ausgebaute, sichere Infrastruktur für Radfahrer:innen, wodurch sich der Stadtverkehr beruhigen soll.

Trotz seiner ambitionierten Ziele, welche der Wuppertaler Oberbürgermeister nicht müde wird zu betonen, leidet er am Ende des Tages unter der Anwesenheit seiner Freundin. Keine der zugeschalteten Fragen aus Studierendenkreisen richtet sich direkt an ihn. Vielmehr möchten die Studierenden die großen Fragen beantwortet wissen: „Stehen sich die Bundesministerien beim Thema nachhaltige Stadtentwicklung gegenseitig im Weg?“ und „Wieso können trotz des Pariser Klimaabkommens noch keine nennenswerten Erfolge vorgewiesen werden?“ Svenja Schulze schaltet plötzlich mit Hinblick auf September in den Wahlkampfmodus. Sie verweist auf die eigenen Errungenschaften wie das Klimaschutzgesetz und beklagt, dass in einer Großen Koalition nicht ausreichend inhaltliche Überschneidung existiere, um gemeinsame Missionen zu bewältigen. Weil von den Moderator:innen kein energisches Nachhaken erfolgt, bleiben die studentischen Einwürfe die einzige Möglichkeit, um kritische Stimmen zu hören.

 

Stadtpolitik = Klimapolitik?

Der Titel dieser Veranstaltung sollte rhetorisch verstanden werden. Dass die in den Raum gestellte Frage nach vierzig Minuten digitalem Pläuschchen mit „Nein“ beantwortet werden könnte, erwartet wohl niemand. Wenn ein Kommunalpolitiker und eine Umweltministerin aufeinandertreffen, kann die Antwort in diesem Fall nur bejahend ausfallen. Und dagegen lässt sich auch grundsätzlich nichts sagen, denn die angeführten Punkte sind plausibel. Allerdings kommt es nie zu einer wirklichen Diskussion aus Argumenten und Gegenargumenten, denn Schulze und Schneidewind verfolgen offenbar eine nahezu deckungsgleiche Vision von nachhaltiger Stadtentwicklung. Ideen werden in diesem Rahmen nicht konstruktiv verbessert, sondern beinahe kommentarlos aus den Arbeitsprogrammen der Politiker:innen zitiert.

Insgesamt merkt man dabei aber doch: Der ehemaligen Kultur- und Wissenschaftsministerin des Landes Nordrhein-Westfalen liegen die Städte am Herzen. Ihre Vision für die Städte lautet „Mehr Grün, mehr Platz für die Menschen“. Da sie ebenso wie Schneidewind gebürtig aus dem Rheinland stammt, hat sie wohl auch keine andere Wahl als sich für die urbane Zukunft zu interessieren. Aufgrund der fehlenden regionalen Diversität verwundert es dann auch nicht, dass nur dann scharf geschossen wird, wenn es gegen nicht repräsentierte Teile Deutschlands geht. So kritisiert Schneidewind, dass sich „die reichen Kommunen in Süddeutschland“ in einer privilegierten Position gegenüber verschuldeten Kommunen befinden würden. 

An dieser Stelle springt Schulze Schneidewind unmittelbar zur Seite und fordert einen Schuldenerlass für ebendiese Kommunen. Im nächsten Satz versucht sie dann aber direkt wieder Finanzminister und Parteifreund Olaf Scholz aus der Verantwortung zu ziehen – in sieben Monaten ist ja schließlich Bundestagswahl. Lobend verweist die Klimaministerin – wie sie sich zwischenzeitlich selbst nennt – zudem auf die „Klimaquartiere“ in Wuppertal. Wer sich bisher noch nicht dorthin verirrt hat, sollte wissen, dass Wuppertal wohl vor allem durch eine Vielzahl an Parks punkten kann. So wirbt zumindest ihr Oberbürgermeister für die Stadt.

Am Ende des Tages bleibt der Talk eine Wohlfühlveranstaltung – was womöglich genauso angedacht war. Allerdings darf die Frage erlaubt sein, ob man die großen Namen auf der Konferenzwoche auch in Zukunft maximal mit Samthandschuhen anstupsen oder sie nicht doch mit kritischeren Fragen und Themen konfrontieren möchte.