Wie wir uns unsere Stadt zu eigen machen

Ein Bericht von Sahra Vittinghoff

Was macht das Leben in einer Stadt besonders lebhaft? In dem interaktiven Diskurs “Lebendige Stadt” tauschen sich Studierende mit der Gründerin der Organisation STADTpsychologie Cornelia Ehmayer-Rosinak aus.

Frau Dr. Cornelia Ehmayer-Rosinak hat als Stadtpsychologin bereits mehrere Projekte in der Stadt Wien geleitet. ©STADTpsychologie
Frau Dr. Cornelia Ehmayer-Rosinak hat als Stadtpsychologin bereits mehrere Projekte in der Stadt Wien geleitet.

“Woher kommst du und wie geht es deinem Ort oder deiner Stadt?”, fragt die Stadtpsychologin Dr. Cornelia Ehmayer-Rosinak in die Runde. Viele der Studierenden kommen aus Lüneburg, Hamburg und Hannover. Einige sind vom Land oder kommen aus einer ganz anderen Region. Die meisten beschäftigt vor allem Corona. Denn egal wo: Zurzeit ist das Leben fast überall im Stillstand. 

Doch wie können wir uns in der Zeit nach der Pandemie am Stadtleben beteiligen? Dies möchte die Stadtpsychologin anhand eines interaktiven Austauschs mit den Studierenden beantworten. 

 

Aneignung als Mittel zur Beteiligung

Laut Ehmayer-Rosinak müssen die Bewohner:innen sich die Räume an ihrem Ort aneignen. Diese Aneignung geht zum Beispiel über Urban Gardening, Graffiti und Ähnliches. So entsteht eine Beziehung zum Wohnort. Denn Menschen, die sich in ihrem Lebensraum wohlfühlen, beteiligten sich mehr und demonstrierten dafür weniger. Mit der Zeit entwickle sich dann eine emotionale Bindung bis hin zu einer Ortsindentität. 

“Ortsidentität entsteht nur, wenn man sich den Raum aneignen, sich beteiligen und bewegen kann”, erklärt die Stadtpsychologin. 

Eine Studierende kommentiert kritisch: “Ich habe das Gefühl, dass es viel damit zu tun hat, wie man aufgewachsen ist und inwiefern man eine Bindung zu der Stadt hat.” Darauf antwortet die Psychologin, dass natürlich erst einmal der Wille nach Aneignung und Beteiligung bestehen müsse. Dann gebe es zum Beispiel die Option, sich innerhalb von Initiativen zu engagieren und so eine Bindung zu entwickeln. 

 

Fairness-Zonen am Donaukanal in Wien

Um zu veranschaulichen, wie so eine Aneignung aussehen kann, stellt Ehmayer-Rosinak eines ihrer Projekte in Wien vor. Der Donaukanal bietet den Wiener Bewohner:innen einen großen öffentlichen Raum. 

“Es gibt innerstädtische Konflikte zwischen Menschen, die Rad fahren und Menschen, die zu Fuß unterwegs sind”, beschreibt sie.

Daher wurde in Zusammenarbeit mit der Stadt Wien sogenannte Fairness-Zonen an den Spazierwegen des Kanals angelegt. So können beispielsweise Jugendliche ungestört von Fahrradfahrern den Boden bemalen oder Strickbegeisterte die Umgebung dekorieren. Innerhalb dieser Zonen dürfen sich alle entfalten. 

 

Wie kann die Bevölkerung mobilisiert werden?

Nachdem das Wesentliche erklärt ist, sind die Studierenden gefragt. Welche Möglichkeiten bestehen, um sich Räume anzueignen? Und was hat das mit dem Thema “Alle Macht den Städten” zu tun? Die Teilnehmenden sind sich unsicher, welche weiteren Optionen offenstehen. Die Leitfrage erkennen sie allerdings deutlich. Bewohner:innen, die sich an der Gestaltung des Stadtbildes beteiligen, besitzen mehr Entscheidungskraft – und somit auch mehr Macht. 

Unter den Studierenden befindet sich zudem ein Seminarteilnehmer der “Zukunftswerkstatt Lüneburg” - eine Initiative, die genau das von Ehmayer-Rosinak Beschriebene erreichen möchte. Im Laufe der Seminararbeit sei ihm aufgefallen, dass es gar nicht so einfach sei, die Menschen für die Beteiligung am Stadtleben zu mobilisieren. Die Psychologin hebt zwei Punkte hervor: Aussendungen und Sozialarbeit. Erst einmal müsse die Stadtverwaltung die Bewohner:innen überhaupt auf Themen und Termine aufmerksam machen. Doch nicht jeder habe an den Terminen Zeit und daher sei es wichtig, dass die Stadtverwaltung auch in einen Dialog mit der Bevölkerung tritt. 

 

Beteiligung in Zeiten von Corona?

Bereits am Anfang der Veranstaltung wurde Corona mehrmals erwähnt. Von den Studierenden greift eine das Thema erneut auf. “Gibt es Dinge, die man auch in Zeiten der Pandemie umsetzen kann?”, fragt sie unsicher. Die Antwort fällt ernüchternd aus. Denn aktuell findet der Alltag der Menschen vorwiegend digital statt. Aneignung und Beteiligung brauchen allerdings das aktive Leben.

“Da geht es uns Stadtpsychologen wie den Künstlern”, beschreibt Ehmayer-Rosinak die Situation, “Ohne das Publikum ist es immer Trockentraining.”

Es gibt dennoch eine Möglichkeit sich während der Pandemie-Zeit mit seiner Stadt beziehungsweise seiner Ortschaft auseinanderzusetzen. Dafür hat Ehmayer-Rosinak die Stadtdiagnose “empirischer Spaziergang” entwickelt. Ihr Vorschlag: Zwei Ziele suchen – den schönsten und den hässlichsten Ort. So sei selbst in der Heimat möglich, neue Erfahrungen zu sammeln und die Bindung zu intensivieren.