„Ein Irrtum ist, dass Wissen alleine ausreichend wäre“

Ein Interview von Frederike Burgdorf

Psychologische Erkenntnisse könnten einem effektiveren Umweltschutz dienen. Zu dieser für die Nachhaltigkeit vielversprechenden Interdisziplinarität äußert sich Dr. Johann Majer im Interview.

©Cup of Couple von Pexels
Themenbild Nachhaltigkeit: Durch interdisziplinäre Zusammenarbeit mehr erreichen

 

Herr Majer, Sie befassen sich mit Psychologie und Nachhaltigkeit, zwei Bereichen, die auf den ersten Blick wenig miteinander zu tun haben. Wo ist der Zusammenhang - Wie könnte das Wissen um die menschliche Psyche für den Umweltschutz eingesetzt werden?

Majer: Wir haben es mit enormen Verhaltensproblemen zu tun. Der Klimawandel und andere Nachhaltigkeitsprobleme stellen als globale Herausforderungen möglicherweise das größte Collective Action Problem dar. Deshalb nehmen die Sozialwissenschaften und die Psychologie eine wichtige Rolle ein, indem sie das menschliche Verhalten auf Individual- und auf Gruppenebene analysieren und versuchen, diese Verhaltensprobleme durch Verhaltensänderungen zu lösen. Aber nicht nur das Individuum ist verantwortlich. Für schnelle Veränderungen müssten auf gesellschaftlicher Ebene politische Maßnahmen implementiert werden.

Was macht den Klimawandel psychologisch gesehen so schwierig zu bekämpfen?

Die psychologische Distanz zu den direkt beobachtbaren Ereignissen ist sehr groß. Die Konsequenzen des Klimawandels sind für uns häufig nicht direkt erlebbar. Und es gibt eine zeitliche Distanz. Viele der Konsequenzen werden erst in 10, 20, 30 oder 40 Jahren sichtbar sein.
Bei einem sozialen Dilemma wie dem Klimawandel stehen unsere eigenen kurzfristigen Interessen im Konflikt mit langfristigen Interessen des Kollektivs. Daher gibt es eine intergenerationale Dimension in diesem Dilemma.
 

Gibt es Ideen, wie man aus diesem Dilemma herausfindet? 

Derzeit wird in einer weltweit angelegten Studie untersucht, wie mit verschiedenen verhaltenswissenschaftlichen und psychologischen Ansätzen kooperatives Verhalten gestärkt werden kann. Ein Ansatz dabei ist zum Beispiel aufzuzeigen, dass andere schon ihren Beitrag leisten. Einigen Studien zufolge lassen sich viele Leute als sogenannte Conditional Cooperators kategorisieren, die kooperieren und Ihren Beitrag in der Dilemma-Situation,  leisten, wenn sie wissen, dass die anderen Personen des Kollektivs es auch machen.

Aus psychologischer Sicht gibt es für nachhaltiges Verhalten außerdem viele weitere Hürden. Wir sind nicht immer so rational, wie wir annehmen. Evolutionär bedingt sind wir darauf konzentriert, auf unmittelbares Erleben und Verhalten zu reagieren. Deshalb entstehen häufig Probleme bei der Informationsverarbeitung. Wertvorstellungen und ideologische Denkmuster oder auch Misstrauen und Leugnung wissenschaftlicher Erkenntnisse können weitere Barrieren für nachhaltiges Verhalten  darstellen. Soziale Normen spielen ebenfalls eine große Rolle.
Verhalten ist aber immer auch multikausal – es entsteht immer aus einem Zusammenspiel vieler verschiedener Faktoren wie der Situation, der Person und der Interaktion dieser beiden. Daher ist es wichtig, Verhaltensweisen genau zu studieren, wenn wir sie verändern wollen. 

Stehen die Einstellung zur Nachhaltigkeit und der ökologische Fußabdruck in der Regel im Einklang?

Der Zusammenhang zwischen Einstellung und Verhalten ist unterschiedlich. Je genereller die Einstellung gemessen wird, desto geringer ist meist der Zusammenhang.
Ein weiterer neuerer Ansatz zur Verhaltensänderung ist es, neben der Einstellung die Verhaltenskosten stärker zu berücksichtigen, um diese beispielsweise zu senken. Kantinen könnten zum Beispiel ein größeres vegetarisches Angebot haben oder der öffentliche Nahverkehr könnte leichter nutzbar sein. Es könnte sich sogar eine positive Einstellung dadurch entwickeln, wenn ich erlebe, dass die Verhaltenskosten für mich geringer sind und das neue Verhalten zum Erfolg führt.

Was sind große Irrtümer in Bezug auf nachhaltiges Verhalten?

Ein Irrtum ist, dass Wissen alleine ausreichend wäre, um direkt nachhaltiges Verhalten hervorzurufen. Außerdem gibt es für uns selbst häufig Irrtümer über die Einsparpotenziale im Haushalt. Wenn man beispielsweise immer beim Verlassen des Raums das Licht ausschaltet, ist das zwar wichtig, aber im Gegensatz zu beispielsweise den Einsparpotenzialen beim Wäschetrockner ist das ein sehr geringer Beitrag.

Wie könnte die Kommunikation über den Klimawandel geändert werden und mediale Aufklärungsarbeit effektiver gestaltet werden?

Die Förderung von Bildung über nachhaltige Entwicklung in Schulen und auch bei uns an der Uni ist, glaube ich, enorm wichtig. Was Informationskampagnen in Massenmedien angeht: In den 90er-Jahren haben Studien gezeigt, dass dadurch praktisch keine Verhaltensänderungen festgestellt werden konnten. Das Problem bei solchen Informationskampagnen ist, dass sie auf bestimmte Zielgruppen zugeschnitten sein müssen, deren Werte oder soziale Identitäten angesprochen werden, damit diese die Informationen tiefer verarbeiten und für sie selbst eine persönliche Relevanz hat. Die soziale Gruppenidentität hat eine wichtige Hebelwirkung. Die zielgenaue Passung von Botschaft und Zielgruppe ist dabei ein wichtiges Prinzip für die Gestaltung von Informationskampagnen.

    ©Leuphana
    Dr. Johann Majer befasst sich u. a. mit der Schnittstelle von Psychologie und Nachhaltigkeit

    Infokästen

    „Collective Action Problem“ bezieht sich darauf, dass sich zusammenschließende Individuen etwas gemeinsam schaffen könnten, was ihnen allein nicht gelingen würde (vgl. The Oxford Handbook of Climate Change and Society, 2011). Trotz der scheinbar unbedeutenden Handlung eines Individuums, können sich durch die Häufung dieser Handlungen negative Konsequenzen für die Gesellschaft ergeben (vgl. The psychological basis of collective action, 2020). Ein Beispiel dafür ist ein soziales Dilemma, bei dem Akteure sich aus ihrer individuellen Sicht vorteilhaft und rational verhalten, dem Kollektiv dadurch aber schaden (vgl. The Problems of Collective Action: A New Approach, 2003).

    Dr. Johann Majer

    • Ist Postdoktorand in der Abteilung Sozial- und Politische Psychologie und erforscht in seinem DFG-Projekt die Lösung von Konflikten in der Transformation zur Nachhaltigkeit
    • Johann Majer unterrichtet im Masterstudiengang  “Psychology and Sustainability” das Einführungsmodul „Introduction to Psychology and Sustainability“ seit dem  Wintersemester 2021/22

    Auf unserem Blog findet ihr weitere Beiträge zur Konferenzwoche 2022 oder folgt uns auf Instagram bei leuphana.college.