Sehenden Auges gegen die Wand

Ein Kommentar von Yannick Mehne

„Die Corona-Krise zeigt deutlich, was passiert, wenn man die Wissenschaft ignoriert – daher hoffe ich auf eine Wirkung für die Klimapolitik“ - so wird Klima- und Meeresforscher Stefan Rahmsdorf bereits im Vorfeld eines Studiotalks der Leuphana Konferenzwoche auf der Universitätswebsite zitiert. Aber wurde die Coronapandemie gesellschaftlich wirklich als Warnschuss wahrgenommen?

©Screenshot aus dem Livestream – Debatte über die Lehren aus der Pandemie
Diskurssionsrunde mit Stefan Rahmsdorf, Katharina Fegebank und Co-Moderatorin Annika Weiser


Am Donnerstagabend hat ein Studiotalk zum Thema „Was lernen wir aus der Pandemie für den Klimaschutz?“ stattgefunden. Zu Gast waren Stefan Rahmsdorf, ein weltweit führender Klimaforscher vom Potsdam Institut für Klimafolgenforschung und zeitweilig Katharina Fegebank, zweite Bürgermeisterin Hamburgs sowie Senatorin für Wissenschaft, Forschung und Gleichstellung der Hansestadt.


Das Amtszeitproblem der Politik

Rahmsdorf erklärt, er sei während des ersten Lockdowns überrascht über die Handlungsfähigkeit der Politik gewesen. Die Wissenschaft schlug Maßnahmen vor und die Politik reagierte – mit teilweise drastischen Freiheitseinschränkungen. Dieser Handlungsfreude bedarf es auch beim Klimaschutz. Denn anders, als bei der Pandemie sind die Folgen eines Nichthandelns beim Klima global und wohl nicht mehr innerhalb der Amtszeit jetzt amtierender Politiker, führt er in Folge weiter aus. Als Lösung dieser Problematik wurde ein Expertenrat aus Wissenschaftlern diskutiert, der der Regierung beratend zur Seite stehen könnte.

Doch allein damit wird sich wenig ändern. Unsere Politik braucht neue Regeln. Wegweisend kann ein Urteil des Bundesverfassungsgerichtes sein, in dem es die Politik beim Klima verpflichtete nachzubessern und daran erinnerte, dass künftige Generationen nicht übermäßig belastet werden dürfen. Klimaschutz, insbesondere dass 1,5°C Ziel des Pariser Klimaabkommens, gehört ins Grundgesetz. Das wäre nicht nur ein wichtiges Zeichen, sondern würde auch künftige Regierungen zum Klimaschutz verpflichten. Wenn wir jetzt nicht handeln, könnte die Erde in Zukunft unbewohnbar werden.

Zur Verdeutlichung: Im jüngst veröffentlichten Bericht des IPCC konnte ein Meeresspiegelanstieg von sogar 5 Metern bis zum Ende des Jahrhunderts nicht ausgeschlossen werden. Das würde bedeuten, dass Städte wie New York, Amsterdam und Hamburg nicht einmal durch modernsten Küstenschutz gehalten werden könnten. Noch ist dieses Szenario nicht zwingend. Es wird jedoch mit der Dauer der Untätigkeit immer wahrscheinlicher.

Dass der Meeresspiegelanstieg eine ernste Bedrohung ist und man schnell handeln muss, wird beispielsweise in Indonesien erkannt. Dort werden Konsequenzen aus dem globalen Nichthandeln gezogen, indem die Hauptstadt Jakarta in den Dschungel umgesiedelt wird. Diese Maßnahme ist als Klimawandelanpassung zu verstehen. Ein Szenario, das uns in Deutschland bisher undenkbar scheint.


Unverwundbarkeit und paradoxe Risikoeinschätzung

Paradox erscheint die Risikobewertung im Zusammenhang mit dem Klimawandel. Im Studiotalk brachte Rahmsdorf dazu ein Beispiel. Er stellte die Frage, ob man mit einem Flugzeug fliegen würde, wenn das Risiko für einen Absturz einen Prozent betrüge? Die Antwort darauf gab er prompt: vermutlich nicht. Szenarien der Klimaforschung, die mit einer Wahrscheinlichkeit von 60% eintreten, erscheinen jedoch als zu unrealistisch, um zu Handeln. Eine paradoxe Risikoeinschätzung!

Wir müssen endlich aufwachen! Der Mensch verschließt gerne die Augen vor unangenehmen Wahrheiten. In reichen Industrienationen gibt es in Teilen eine Denkweise, mit Geld lasse sich alles lösen - ein Gefühl der Unverwundbarkeit. Zu ähnlichen Schlüssen gelangte auch Rahmsdorf. Er betont, dass er sich sicher sei, noch ernsthafte Folgen des Klimawandels miterleben zu müssen. Der Klimawandel sei daher nicht nur ein Problem der jungen Leute! Deshalb sei er auch der Bewegung „Scientists von Future“ beigetreten.

Ich persönlich schätze ein derartiges Engagement. Es ist wichtig, dass Bewegungen wie „Scientists for Future“ oder die übergeordnete „Fridays for Future“-Bewegung das Thema Klimaschutz in den breiten öffentlichen Diskurs gebracht haben.

Die Umsetzung konkreter Protestaktionen aber sollte politisch klug geplant werden. Denn Straßensperren, wie sie die Bewegung „Last Generation“ macht – sind kontraproduktiv. Das überzeugt Menschen nicht davon, sich für den Klimaschutz einzusetzen.  Wenn es darum geht, Menschen vom Klimaschutz zu überzeugen, halte ich es mit Cem Özdemir: "Eine Demokratie lässt sich nicht erpressen. Für den Schutz unserer Erde ist eine politisch gewillte Mehrheit nötig.


Chance und Risiko der Ukrainekrise

Was in der Ukraine geschieht ist schrecklich – keine Frage. Putins muss seinen Krieg beenden. Doch ergeben sich auch aus dieser Krise auch Chancen für den Klimaschutz. Wenn selbst die FDP plötzlich im Bundestag den Ausbau erneuerbarer Energien für mehr Unabhängigkeit von russischen fossilen Energieträgern bewirbt, ist das eine vielversprechende Kehrtwende.

Rahmsdorf äußerte sich allerdings besorgt darüber, dass enorme Summen nun in Rüstung gesteckt werden, die anderswo gebraucht werden. Er sah aber auch die Chance für einen schnelleren Ausbau emissionsfreier Energien.

Erneut zeigte sich, dass die Politik in akuten Krisen schnell und drastisch handeln kann. Die Hoffnung besteht, dass die Krisenvorsorge von nun an mit größerer Weitsicht betrieben wird. Hoffentlich bedarf es nicht erst einer Klimakatastrophe, um akute Maßnahmen zum Schutz der Erde zu ergreifen. Vielleicht gelingt es, das Momentum aktueller Krisen zu nutzen, um den Klimaschutz voranzutreiben.

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