Ziviler Ungehorsam als letzte Hoffnung im Kampf gegen den Klimawandel?

Hast Du auch das Gefühl, die Politik unternimmt nicht genug gegen den Klimawandel? Dieses Bedenken hat die Bewegung Extinction Rebellion, welche annimmt, dass ziviler Ungehorsam den Druck auf die Politik erhöhen kann.

Ein Interview von Lars Schlotfeldt.

Lars Brandt, aktives Mitglied von Extinction Rebellion ©Lars Brandt
Lars Brandt, aktives Mitglied von Extinction Rebellion

Der Klimawandel ist auch im neuen Jahrzehnt eine zentrale Herausforderung der Menschheit. Neben legalen Protesten gibt es auch Organisationen wie Extinction Rebellion (XR), die einen radikaleren Weg des Protests ausüben. Denn längst stellt sich die Frage, wie lange wir die Veränderungen, die notwendig sind, noch beeinflussen können. Ein aktives Mitglied dieser Bewegung ist Lars Brandt. Brandt hat gerade seinen Abschluss in der Volkswirtschaftslehre abgeschlossen und wohnt derzeit in Berlin. Wir haben mit Brandt über eine „Rebellion“ gesprochen, die bewusst provoziert.

Herr Brandt, wie kam es, dass Sie sich dazu entschieden haben, ein Teil der Bewegung XR zu werden?

Als im April 2019 tausende Klimarebellen London besetzten und auch in meiner Gegend Flyer und Plakate von XR auftauchten, habe ich mich sofort entschieden, Teil der Rebellion zu werden. Zuvor hatte ich versucht, durch die Teilnahme an Demonstrationen und Petitionen etwas in Hinblick auf den Klimawandel zu erreichen.

Die Erderhitzung ist ja seit Jahrzehnten bekannt, aber praktisch passiert ist trotzdem so gut wie nichts. Ich hatte immer mehr die Hoffnung verloren. Die Möglichkeit, grundlegende Veränderungen zu bewirken, sah ich zum ersten Mal wieder als ich beobachtete, wie XR die Probleme klar anspricht und den Druck auf die Politik ausbaut.   

Wie organisiert sich die Bewegung, um diese Ziele zu erreichen?

XR ist eine internationale Bewegung und hat als Ziel, einen tiefgreifenden Wandel in unserer Gesellschaft zu bewirken. Dabei ist die Bewegung dezentral organisiert. Wir haben zehn Prinzipien und Werte. Jeder, der sich an diese hält, kann eine Aktion starten, indem er sich mit Leuten zusammenschließt und diese plant.

XR hat drei Forderungen: Die erste ist, dass die Politik und Presse die Gefahren der Klimakrise und eines möglichen Zusammenbruchs der Ökosysteme klar und deutlich kommuniziert. Die zweite Forderung besteht darin, den CO2-Ausstoß massiv zu reduzieren, sodass Deutschland bis 2025 CO2-neutral ist. Die dritte Forderung beinhaltet, dass dieser Prozess durch Bürgerversammlungen begleitet und unterstützt wird. Hierbei gibt die Politik Verantwortung an einen repräsentativen Querschnitt der Bevölkerung ab, welcher, unterstützt durch Experten, Empfehlungen ausspricht und Entscheidungen trifft.   

Wäre es demnach denkbar, dass die Bewegung in Zukunft politische Verantwortung übernimmt?

Es ist nicht unser Anliegen, in Zukunft selbst politische Verantwortung zu übernehmen, indem wir beispielsweise eine Partei gründen. Stattdessen fordern wir die Einberufung einer Bürgerversammlung, welche eine politische Unabhängigkeit gewährleistet.

Wie sehen Sie die Bewegung aufgestellt, um auch zukünftig etwas für den Klimawandel zu erreichen?

Hinsichtlich der Entwicklung der Bewegung sind wir auf einem guten Weg. Während bei der Besetzung der Oberbaumbrücke in Berlin im April 2019 nur wenige hundert Personen teilnahmen, kamen im Oktober desselben Jahres tausende Menschen nach Berlin und haben eine Woche lang Brücken und Kreuzungen besetzt.

Zudem werden wir bei der nächsten Rebellionswelle, welche ab dem vierten Mai stattfinden wird, sicherlich wieder viel mehr Menschen sein. XR ist zwar noch deutlich kleiner als Fridays for Future, aber relevant. Dies zeigt sich dadurch, dass die Politik sich mit uns und unseren Forderungen beschäftigt. Zudem hat es die Bewegung geschafft, die Dringlichkeit des Themas ins Bewusstsein der Gesellschaft zu bringen. So hat beispielsweise Großbritannien nach der Rebellion in London den Klimanotstand ausgerufen und viele deutsche Städte sind gefolgt.

Nur Symbolpolitik reicht natürlich nicht. Bislang hat ja keine Klimabewegung ihr Ziel erreicht. Aber die Politik wird beim Klima derzeit von der Gesellschaft angetrieben und nicht umgekehrt. Damit endlich angemessene Maßnahmen ergriffen werden, muss der Politik durch die Gesellschaft weiter mehr Mut und Druck gemacht werden.

Ist ziviler Ungehorsam tatsächlich eine sinnvolle Methode, um den Druck auf die Politik zu erhöhen?

Praktisch alle Länder der Welt, auch Deutschland, verfehlen ihre Verpflichtungen aus dem Pariser Abkommen massiv. Und der Weltklimarat hat berechnet, dass selbst diese Verpflichtungen längst nicht ausreichen würden, um die Erderhitzung auf deutlich unter zwei Grad zu begrenzen. Es drohen katastrophale Folgen: Dürren, Überschwemmungen, Nahrungsmittelknappheit, ganze Ökosysteme können zusammenbrechen.

Was können wir also tun, wenn die Warnungen der Wissenschaftler und Millionen von Demonstranten von der Politik praktisch ignoriert werden? Die Protestforschung hat gezeigt, dass gewaltfreier, ziviler Ungehorsam das effektivste Mittel ist, um innerhalb kurzer Zeit große Veränderungen zu bewirken. Deshalb denke ich, dass er nicht nur absolut legitim ist, sondern auch dringend notwendig. Aber natürlich ist ziviler Ungehorsam nichtsdestotrotz illegal. Das ist auch die häufigste Kritik, die XR erhält. Wir werden aber in Zukunft noch größere Aktionen machen. Diese könnten beispielsweise darin bestehen, dass nicht nur Verkehrspunkte, sondern ganze Städte besetzt werden. Natürlich richten sich dabei alle Aktionen von XR nach unseren Prinzipien, zu denen auch absolute Gewaltfreiheit gehört.

Um diese grundlegenden Veränderungen zu erreichen, braucht es wohl auch ein Umdenken in der Gesellschaft. Welche Rolle spielt XR dabei?

Ich habe das Gefühl, dass XR zu diesem Umdenken beiträgt, indem wir nicht zulassen, dass das Thema von der Tagesordnung verschwindet und indem wir Räume für Diskussionen schaffen. Denn Fakt ist, dass unsere aktuelle Art zu Leben nicht nachhaltig ist und somit auch zum Scheitern verurteilt sein wird. Die entscheidende Frage wird sein, ob wir uns aus eigener Kraft heraus verändern, oder von der Natur dazu gezwungen werden.

 

Lars Brandt (31) hat in Hamburg Sprachen und Kulturen Südostasiens studiert. Jetzt lebt er als freier Wissenschaftler in Berlin. Seit April 2019 ist er bei Extinction Rebellion aktiv. Er hat die Ortsgruppe Hamburg mit aufgebaut, zahlreiche Straßen besetzt und hält in ganz Deutschland Vorträge über den Klimawandel.

Weitere Informationen zur Bewegung XR findet ihr auf folgender Internetseite:

extinctionrebellion.de

Aus Gründen der leichteren Lesbarkeit wurde in diesem Blogbeitrag die männliche Sprachform bei personenbezogenen Substantiven und Pronomen verwendet. Diese ist als geschlechtsneutral zu betrachten und dient lediglich einer sprachlichen Vereinfachung. Mir ist wichtig zu betonen, dass ich damit auf keinen Fall eine Benachteiligung des weiblichen Geschlechts ausdrücken möchte.

 

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