Zero Waste, 100 Prozent Kiez

Ein Feature von Bo Sturm

In der Hauptstadt hält ein unerwünschter Gast Einzug. Er verunstaltet das Stadtbild, verärgert die Bevölkerung und macht nicht vor Bezirksgrenzen halt. Ein Viertel hat ihm nun den Kampf angesagt.

Der „Görli“ vor dem Ansturm ©Lena Varzar
Der „Görli“ vor dem Ansturm

Berlin im Sommer. Der Görlitzer Park gleicht einem Festival-Schauplatz. Kulinarische Gerüche aus aller Welt mischen sich mit den Klängen der umliegenden Bluetooth Boxen. Es wird geraucht, getrunken und gelacht. Sobald die Sonne untergeht, verlagert sich das Geschehen in die umliegenden Kieze. Späti-Bänke werden besetzt, Bars füllen sich und DJs verkünden die ersten Bässe der anstehenden Nacht.

Doch was bleibt, wenn das Partyvolk in den frühen Morgenstunden nach Hause taumelt? Wenn das vergessene Sojaschnitzel auf dem Einweggrill kalt ist und die weggeworfenen Kippenstummel auf dem Rasen liegen bleiben? Vor allem eines: jede Menge Müll.

Das Problem des überproportionalen Müllaufkommens ist dem Bezirksamt Friedrichshain-Kreuzberg keineswegs unbekannt. 2019 wurde die Nichtregierungsorganisation Grüne Liga Berlin beauftragt, in Zusammenarbeit mit Circular Berlin und dem Bund Berlin eine Zero-Waste-Strategie zu entwickeln. Zero Waste bedeutet Abfälle zu vermeiden, Ressourcen zu sparen und Produkte jeglicher Art wiederzuverwenden. Das Ergebnis des mehrmonatigen Projekts sind 37 ortsspezifische Maßnahmen, anhand derer sich in den nächsten Jahren orientiert wird. Von der Förderung von Mehrwegprodukten, über Zero-Waste-Projekttage in Schulen, bis hin zur konkreten Errichtung von Grillstationen in öffentlichen Parks – die Maßnahmen sind vielseitig.

 

Veranstaltungen als Hauptproblem

Der Bezirk mit der geringsten Gesamtfläche und gleichzeitig höchsten Bevölkerungsdichte in ganz Berlin, ist jedes Jahr Schauplatz unzähliger Veranstaltungen. Von Flohmärkten und Konzerten bis hin zu Open-Air-Partys und Sportevents, die Liste ist lang. Ein natürlicher Nebeneffekt der diversen und umfangreichen Veranstaltungskultur ist ein enormes Abfallaufkommen.

Dr. Birte Jung ist freiberufliche Nachhaltigkeitsberaterin und mit Veranstaltungsplanung bestens vertraut. „Wir müssen Anreize schaffen, damit Veranstaltungen abfallärmer werden“, erklärt Jung im Gespräch. Als Mitentwicklerin des Zero-Waste-Konzeptes fordert sie die stärkere Unterstützung nachhaltiger Veranstaltungen durch die Stadt, damit andere diesem Vorbild folgen können. „Die Stadt Wien leistet einen Kostenbeitrag bei der Verwendung von Einweggeschirr“. So könnte es bald auch in Berlin aussehen. Kritisch sieht sie die oft „uneinheitlichen Regelungen und fehlenden Kontrollen der Auflagen“. Grundsätzlich sei aber eine positive Tendenz zu erkennen. Bei Großveranstaltungen, wie dem Karneval der Kulturen, bestehe ein Flyerverbot und auch auch der Gebrauch von Mehrweggeschirr nehme zu, so Jung.

Die Müll Hotspots in Friedrichshain-Kreuzberg ©Bo Sturm/Screenshot Google Maps
Die Müll Hotspots in Friedrichshain-Kreuzberg

„Zero Waste Reallabor“ entwickelt neue Lösungen

Am Mehringdamm lauert das nächste Problem. Die anderthalb Kilometer lange Straße ist einer von mehreren Müll-Hotspots im Bezirk. Neben Mustafas Gemüse Kebab und der Ur-Filiale von Curry 36 gibt es hier vor allem viele Bars, Cafés und Einrichtungen des Nachtlebens. In Zusammenarbeit von Zivilgesellschaft und Expert:innen soll hier ein Pilotprojekt entstehen, bei dem verschiedene wissenschaftliche und sozial beständige Projekte erarbeitet und getestet werden. Die Ergebnisse des sogenannten „Zero Waste Reallabors“ können dann in die Praxis übertragen werden. Ein weiteres geplantes Projekt ist die Errichtung einer „Bibliothek der Dinge“. Wie bei einer normalen Bibliothek können die Bürger:innen hier unter anderem Küchengeräte, Werkzeug oder Nähmaschinen ausleihen, anstatt sie selbst kaufen zu müssen.

Es tut sich also viel. Die Vorhaben und Konzepte sind gut, die Frage bleibt jedoch, ob und wie stark die Projekte von der Bevölkerung adaptiert werden. Zero Waste Konzepte fokussieren sich oft auf die Verbesserung des Ist-Zustandes: Kaffeebecher aus Pappe und Teller aus pflanzlichen Zellulosefasern. Das ist ein Anfang. Der beste Müll ist jedoch der, der gar nicht erst entsteht. Um dies zu erreichen, bedarf es Bildung und Aufklärung. Gerade hier hat das Berliner Konzept seine Stärke. Es schafft Räume für Partizipation und Austausch und vermittelt den Gedanken von Zero Waste schon jetzt an die Generation der Zukunft.

Zurück im Görlitzer Park. Der zentral gelegene und mit negativen Klischees beladene Ort könnte als Paradebeispiel fungieren, wie Zero Waste funktionieren kann und das Stadtbild positiv verändern wird. Hier gibt es Grillstationen, Pfandringe und Abwaschmobile für mitgebrachtes Geschirr. Das Ziel der Kampagne scheint hier schon in greifbarer Nähe. Es werden Ballot Bins aufgestellt. Große, bunte Aschenbecher, die als Abstimmungsbox für diverse Fragen fungieren. Zigarettenstummel in die linke Box heißt Ja, rechts Nein.

Die Frage der Abstimmung heute: Hat Zero Waste in Berlin eine Chance?

Mögen die Kippen entscheiden.