Komplementärstudium: Wenn das Moor zu klingen beginnt

19.12.2025 Mit der Uraufführung der „Cantata for an Ecosystem“ und einer experimentellen Ausstellung wagten Studierende der Leuphana ein Abenteuer zwischen Kunst, Wissenschaft und Klimafragen. Und das gelang.

©Leuphana/Tengo Tabatadze
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Den Takt gibt das Moor vor: dumpfes Klopfen aus der Tiefe, Vogelstimmen, Rauschen. Dazu komplexe Rhythmen, ungewohnte Klangfarben und poetische Textfragmente über die Verbindung von Mensch und Natur. Unter der Leitung von Universitätsmusikdirektorin Rebecca Lang erlebte das Publikum im Zentralgebäude der Leuphana die Uraufführung der „Cantata for an Ecosystem“ des Hamburger Komponisten Dominic Wills. Der Kammerchor der Leuphana machte ein fragiles Ökosystem hörbar - jenseits klassischer Harmonieerwartungen.

Der Abend bildete den Höhepunkt des interdisziplinären Projekts „Land schafft Klang“, in dem sich Umweltwissenschaften, Musik, Tanz, Film und Kulturwissenschaften begegneten. Vorbereitet wurde die Veranstaltung von Studierenden in zwei Seminaren des Komplementärstudiums. In einem Kurs unter der Leitung der Philosophin Dr. Steffi Hobuß begaben sich die Teilnehmenden gemeinsam mit Klangkünstler Kurt Holzkämper und dem Potsdamer Umweltwissenschaftler Prof. Dr. Hubert Wiggering ins Moor. Dort sammelten sie Klänge, Eindrücke und Daten – viele davon flossen direkt in die Komposition ein. „Ich habe als Naturwissenschaftler gelernt, neu zuzuhören“, gibt Hubert Wiggering zu.

Dass diese Auseinandersetzung dringend ist, zeigen die Zahlen: Rund 95 Prozent der Moore in Deutschland gelten heute als entwässert, degradiert oder zerstört, vor allem durch landwirtschaftliche Nutzung und Torfabbau. Dabei zählen intakte Moore zu den wirksamsten natürlichen Kohlenstoffspeichern. Werden sie dagegen zerstört, – also trockengelegt – setzen sie große Mengen an Treibhausgasen frei.

Neben der musikalischen Uraufführung präsentierten die Studierenden ihre eigenen künstlerischen Arbeiten in einer begleitenden Ausstellung. Rahel Westphal, Studentin der Umweltwissenschaften, entwickelte mit Kommiliton*innen ein Tanzvideo: „Wir wollten die Bewegung des Moors anders erfahrbar machen.“ Weitere Gruppen zeigten Poesie, Klanginstallationen und experimentelle Kurzfilme.

Die Organisation des Abends und die räumliche Gestaltung lagen in den Händen einer zweiten Seminargruppe unter der Leitung von Lea Jacobs. Alex Nepomuk Hoffmann, Student*in der Kulturwissenschaft mit der Vertiefung Kulturmanagement, zog ein positives Fazit: „Ich konnte hier wichtige praktische Erfahrungen sammeln – von der Raumgestaltung bis zur Veranstaltungskoordination.“

Ziel der beiden Seminare war es, ökologische Prozesse nicht nur naturwissenschaftlich zu erklären, sondern sinnlich erfahrbar zu machen. Kunst machte den Perspektivwechsel möglich. 

Ergänzt wurde der Abend durch die Vorstellung des Kinderbuchs „Alex und Kim Kiebitz entdecken das Moor“, präsentiert von Studentin Joanna Knecht, die auch im Chor mitsang. Das ebenfalls aus einem studentischen Projekt hervorgegangene Buch richtet sich an Kinder im Grundschulalter und verbindet eine erzählerische Geschichte mit Wissen über Moore und konkreten Handlungsmöglichkeiten zum Moorschutz. 

©Leuphana/Tengo Tabatadze
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Die abschließendes Talk-Runde ordnete das Ökosystem Moor aus verschiedenen Blickwinkeln ein. Oliver Mathes, M. Mus. Musiktheorie, Lehrkraft für besondere Aufgaben, Leuphana Institut für Kunst, Musik und ihre Vermittlung, gab den Diskutierenden im „Leuphana Wohnzimmer“, wie die gelungene Raumgestaltung im Forum genannt wurde, spürbar Zeit. Die Teilnehmer*innen konnten sich gut zu dem Titel der Unterredung „Die Akustik der Moore und die gesellschaftliche Transformation“ äußern. Das passte zu dem Eingangszitat von Hubert Wiggering, sich auf Langsamkeit der Moor-Entwicklung einzulassen, um ökologische Folgen und mögliche Verhaltensänderungen zu bedenken. Dr. Vicky Temperton, Professorin für Ecosystem Functioning & Services, Fakultät für Nachhaltigkeit an der Leuphana nahm das Zeitthema auf und berichtet von einer gut 10.000 Jahre alten Moorprobe, die eine frische Pflanze zu Tage förderte. Innerhalb weniger Stunden oxidierte das zarte Grün an der Luft und ging ein. Dieses Ereignis habe der Wissenschaftlerin noch einmal vor Augen geführt, in welchen langen Zeiträumen natürlich Entwicklungen ablaufen und dann von menschlichem Einwirken im Handumdrehen radikal verändert werden. Zur Einordnung: Moore wachsen pro Jahr nur um einen Millimeter.

Die weiteren Teilnehmenden waren: Maaja Gehde, Leuphana Master Sustainability Science: Ecosystems, Biodiversity and Society, Kammerchor-Mitglied; Dominic Wills, Komponist und Doktorand an der Hochschule für Musik und Theater, Hamburg; Stella Bosink, Mitglied des Komplementärseminar „Kunst & Wissenschaft / Agricultural Science“, Leuphana und Jasmina Will, Leuphana Master of Education (LHR), Musik und Deutsch, Stipendiatin der Studienstiftung des deutschen Volkes, Kammerchor-Mitglied

Der Norddeutsche Rundfunk „Hallo Niedersachsen“ berichtete am 18. Dezember 2025.