Der erste Utopie-Abend: Wie retten wir die Arbeit - und warum?

Ein Beitrag von Lina Drecoll

Knapp 1.000 Zuschauer:innen verfolgen am Dienstagabend den ersten Utopie-Abend auf dem Leuphana-Livestream. Nach ein paar Startschwierigkeiten diskutieren dort Maja Göpel und Richard David Precht, wie man „die Arbeit retten“ kann.

Lina_drecoll_Erste-Utopie-Abend1 ©Credit Marvin Sokolis / Leuphana
Ein Einblick aus dem Utopie-Studio der ersten Veranstaltung

Nach ein paar technischen Startschwierigkeiten beginnt der erste von drei Utopie-Abenden am Dienstagabend um kurz nach 20 Uhr. Maja Göpel, Expertin für Nachhaltigkeit und Transformationsforschung, begrüßt knapp 1.000 Zuschauer:innen aus dem Utopie-Studio auf dem Youtube-Livestream der Leuphana-Universität-Lüneburg. Richard David Precht ist zugeschaltet, gemeinsam mit Göpel setzt er den Anfang für die diesjährige Utopiewoche im August unter dem Motto „Die Arbeit retten." „Wie sieht unsere Zukunft aus?“. Dabei geht es nicht allein um die Frage der Arbeitslosigkeit und wie sich diese entwickeln wird, sondern um das Große und Ganze. Was wollen wir? – Wir, als Gesellschaft. Wie kann die Arbeitswelt in der Zukunft aussehen oder besser: Wie soll sie aussehen? Insbesondere mit Blick auf die Digitalisierung, auf eine Pandemie, die Arbeitsplätze belastet und womöglich auch kostet, mit Blick auf die Großkonzerne und auf Steuergerechtigkeit.

Stimmen aus der Republik - Analyse

Um ein breites Meinungsbild zu erhalten und über verschiedene Denkrichtungen und Ideen zu diskutieren, haben die Gastgeber:innen Personen aus verschiedenen Bereichen der Gesellschaft eingeladen.DerGesundheitspfleger Alexander Jorde macht direkt zu Beginn auf die Missstände im Gesundheitssektor aufmerksam, die durch die Pandemie noch verschärft wurden. „Jetzt wäre genau der richtige Zeitpunkt, um langfristig zu überlegen, wie wir dieses Gesundheitssystem umgestalten können“, erklärt Jordis.Auch Precht unterstützt seine Meinung, dass die Privatisierung des Gesundheitssystemsfalsch sei. Auf der anderen Seite dürfe es aber auch nicht zu einem „Politik-Bashing“ kommen, betont die Publizistin und Politökonomin Ulrike Hermann. Denn die Einstellung, dass die Politik an allem schuld ist, sei eine Gefährdung der Demokratie.

Im Anschluss geht es um die Frage, wie die Zukunft des Einzelhandels aussehen kann, um die wiederholt verpufften Ansätze, Online-Giganten verhältnismäßig zu besteuern oder um die Frage, warum bei einer digitalen Revolution immer von Fortschritt gesprochen wird und ob das überhaupt der richtige Denkansatz sei.

Visionen und Utopieentwicklung

Im zweiten Block folgen dann die konkreten Utopie-Ideen und Vorschläge, wie eine Arbeitswelt weitergedacht werden kann. Uwe Lübbermann, der Gründer des Getränkekollektives „Premium" berichtet von seinem Geschäftsmodell, das einen ganz anderen Ansatz, als den herkömmlichen verfolgt. Gemeinschaft lautet das Zauberwort, das ihn und sein Unternehmen durch die Pandemie manövriert hat. So sind alle Betroffenen Entscheidungsträger:innen, es gibt keine Gewinnerzielung, die Löhne sind prinzipiell einheitlich und werden gegebenenfalls auf Bedürfnissen angepasst.

Die Aussage der Digitalexpertin Kenza Ait Si Abbou, dass „alles was automatisierbar ist, automatisiert wird“ stößt besonders bei Precht auf Unverständnis. Er bezeichnet dieses Statement als „blanken Unsinn.“

Am Ende einigen sich Göpel und Precht auf drei wesentliche Aussagen. So sei es unumgänglich, für eine effizientere Ressourcennutzung zu sorgen und gegebenenfalls jene zu bestrafen, deren Ressourcenverbrauch zu hoch ist. Precht betonte die Notwendigkeit, die Finanztransaktionssteuer deutlich zu erhöhen und im Gegenzug die Arbeit geringer zu besteuern. Wie dies umgesetzt werden könnte, insbesondere mit Blick über die nationalen Grenzen hinaus, bleibt an diesem Abend zwar noch offen, aber Göpel lädt herzlich zum Utopie-Abend am Mittwoch um 19 Uhr bei Youtube zum Thema „Wohlstand: Was ist Wohlstand? Wie soll Wohlstand in der Zukunft aussehen und wie gelangen wir dahin?“, ein.

    Lina_Drecoll_Erste-Utopie-Abend ©Louisa Szymorek
    Ein grafischer Überblick des ersten Utopie-Abends zum Thema „Arbeit

    Aha-Momente der Zuschauer:innen

    Der Instagram-Account @utopiekonferenz fragte die Zuschauer:innen nach den größten Aha-Momenten der Veranstaltung. Dabei kamen sechs spannende Kernaussagen zustande:
    - „Digitalisierung kann auch im positiven Sinne weniger Arbeit für alle bedeuten“

    • „Empathie als eine der wichtigsten Fähigkeiten der Zukunft“
    • „Der klare Unterschied zwischen den Termini ‚Job’ und ‚Beruf’“
    • „Die unterschiedliche Wahrnehmung des digitalen und ökologischen Wandels“
    • „Maximaleinkommen als nicht unbedingt sinnvoll, da Reichtum meist nicht durch Leistung erreicht wurde“

    Und im Anschluss: Mikrotopien

    Weil das Utopie-Studio noch nicht genug ist, wird zum Austausch bei den digitalen Mikrotopien per Zoom eingeladen. Mikrotopien sind kleine Zusammenkünfte, mit der Idee, utopisches Denken herunterzubrechen, um es greifbarer zu machen. Die Gastgeber:innen Sarah Schulte, Sophie Rühl und Moritz Petersmann sind Teil des Teams der Utopie-Konferenz und stellen den Teilnehmer:innen die Frage „Wollen wir die Arbeit retten und warum?“ In Breakout-Rooms können sich jeweils vier Personen austauschen und Statements verfassen. Dabei sind die Antworten vielfältig und es werden verschiedenste Denkrichtungen geteilt: „Ja, weil intrinsisch motivierte Arbeit die persönliche Weiterentwicklung ermöglicht. Ja, weil Arbeit mehr sein sollte, als Geld zu verdienen.“ Oder „Ja, weil Arbeit retten auch heißt, Gesellschaft zu retten“.

    Es werden Fragen aufgeworfen, wie wir Arbeit definieren. Aber gibt es überhaupt die eine allumfassende Definition? Viele Fragen, zu denen wir vielleicht nicht immer eine Antwort haben oder finden werden, die aber zum Nach- und Weiterdenken anregen. Jacob Kohlbrenner zeichnet während der Diskussion ein Gedankenbild in Echtzeit. Weitere Infos zu den Mikrotopien-Veranstaltungen und zum Team findest du hier. Die Zoom-Plätze für die kommenden Mikrotopie-Abende sind bereits ausgebucht.