WIR MÜSSEN „SMARTEN LÖSUNGEN DEN WEG FREIBOXEN“

Ein Kommentar von Bo Sturm

Spoiler Alert: Die Fäuste sind nicht geflogen. Dennoch entstand am gestrigen Abend im leuphanischen Utopie-Studio eine angeregte Debatte über die Themen, die unsere Gesellschaft und Politik in Zukunft beschäftigen werden - Freiheit, Verbote und Billigkreuzfahrten. Doch welche Rolle spielt die Demokratie dabei?

Neue Perspektiven wagen: Maja Göpel und Richard David Precht im Gespräch ©Leuphana / Marvin Sokolis
Neue Perspektiven wagen: Maja Göpel und Richard David Precht im Gespräch

Es ist der dritte Abend in Folge. Wieder heißt es Utopie-Studio und wieder ist die Erwartungshaltung hoch. Das Thema heute: Die Demokratie retten. Die Frage ist allerdings: wovor? Die Bedrohung durch zunehmende Politikverdrossenheit, das Aufstreben rechtspopulistischer Parteien oder die Angst vor einem verrückt gewordenen veganen Koch und seinem Rudel an Verschwörungsideolog:innen?

Laut Cesy Leonard, der Co-Gründerin der Radikalen Töchter, ist eine Bedrohung der Demokratie die Art, wie wir uns hinter ihr verstecken. Menschen überwintern unter menschenunwürdigen Verhältnissen vor den Toren Europas und alles, was deutschen und europäischen Politiker:innen dazu einfällt ist der Verweis auf fehlende Mehrheiten. Die Demokratie darf nicht zur Ausrede werden. „Wir reden von Menschenrechten, aber sind nicht bereit das auf politischer Ebene durchzusetzen“, so Leonard. 

 

„Mut zu unpopulären Maßnahmen“

Die logische Konsequenz dieser Probleme ist der Bedarf nach Veränderung. Und dafür brauche es, so Richard David Precht, „Mut zu unpopulären Maßnahmen“. Damit nimmt der Philosoph führende Politiker:innen in die Pflicht, sich auch für Entscheidungen und Themen einzusetzen, die nicht mehrheitsfähig sind. Stichwort: Billigkreuzfahrten. Die klimaschädliche Existenz dieser, beschreibt Precht als eine Phase. „Das hat es jetzt mal gegeben, weil es so günstig war, dann hat man aus ökologischen Gründen eingesehen, dass es nicht geht und dann schafft man es wieder ab“. Die Utopie ist eine Welt ohne Billigkreuzfahrten oder wie Precht sagt: „Mit kleinen Verboten die großen Verbote der Zukunft verhindern“. Auch wenn die Vorstellung einer simplen Abschaffung naiv ist, so ist der Diskurs über unangenehme Wahrheiten notwendiger denn je.

Es stimmt. Auch unpopuläre Entscheidungen müssen getroffen werden. Unsere Demokratie ist bedroht, wenn sie dazu verleitet, uns einfache Ausreden zu liefern. Kein:e Politiker:in möchte dem Deutschen sein liebstes Statussymbol - den SUV - verbieten. Auch wenn es ökologisch bitter nötig wäre, würde dies die Chance auf eine Wiederwahl gegen Null streben lassen. In ihrer jetzigen Verfassung lähmt unsere Demokratie insofern tatsächlich den Fortschritt. Der Ansatz von Transformationsforscherin Maja Göpel ist radikaler und liefert gleichzeitig den heißesten Anwärter auf das Zitat des Abends. Wenn Menschen die Vorteile von Veränderungen nicht sehen, müsse man eben „smarten Lösungen den Weg freiboxen“. Denn in einer Gemeinschaft gibt es eben auch Vorurteile gegen gute Ideen. Ein klassisches Beispiel ist die Einführung des Sicherheitsgurtes im Auto. Diese war höchst umstritten. Heute beschwert sich niemand mehr über die Anschnallpflicht.  

Fest steht: Unsere Demokratie braucht einen Frühjahrsputz. Mehr Digitalisierung, neue und direktere Formen der Partizipation und nicht zuletzt ein gespitztes Ohr für die lautstarken Forderungen der jungen Generation sind dringend notwendig.

Schaffen wir das, ist ein Ende der freiheitlich demokratischen Unordnung endlich in Sicht.